Um nichts hätte ich meinen Studienaufenthalt in Israel missen wollen. Durch das Studienprogramm “Studium in Israel” hatte ich die einmalige Chance unterschiedlich gelebtes Judentum und die das heutige Judentum zutiefst prägende rabbinische Traditionsliteratur kennenzulernen. Durch die vielfältigen Vorträge von jüdischen und arabischen Israelis wurde mir ein diverser Blick auf die israelische Gesellschaft und den Nahostkonflikt eröffnet. So würde ich den Ertrag aus dem Jahr in Israel zusammenfassen, aber dahinter steckt noch viel mehr…
Zunächst war die Vorbereitung auf das Programm intensiv. Doch es hat sich am Ende gelohnt!
Dieses Jahr hat in mir sehr viele Ansichten nachwirkend verändert. Zum Beispiel konnte ich früher eher wenig mit Biblischem Hebräisch anfangen und bevorzugte als Theologiestudentin Altgriechisch. Durch das Lernen des Modernen Hebräischen, das Sprechen mit meiner israelischen Mitbewohnerin und meinem israelischen Mitbewohner und durch hebräische Lieder habe ich diese Sprache lieben gelernt, was ich vorher nicht für möglich gehalten hätte. Dank der guten Sprachkenntnisse, die ich im Laufe des Jahres erwerben konnte, gebe ich jetzt Hebräisch-Kurse. Die Sprache ist, wie in jedem Land, der Schlüssel zum Land und zu den Menschen. Deswegen war es gut, an der Hebräischen Universität fortführend Sprachkurse zu besuchen, wobei das aktive Sprechen den größten Motor für das Hebräischlernen darstellte.
Auch habe ich mich im Theologiestudium recht wenig für das Alte Testament interessiert, doch das Studium des Talmuds, von Midraschim und der Halacha, des jüdischen Religionsgesetzes, zeigten mir, wie diese Texte zu verstehen sind, wie sie ‚funktionieren‘ und wie sie lebendig und aktuell ausgelegt und ausgelebt werden. Insofern kann man auch sagen, dass das Programm einen von antijudaistischen Bildern löst und einem so den Weg für einen auf Augenhöhe geführten interreligiösen Dialog ebnet.
Nun muss ich dazu sagen, dass nicht allein das Studium an der Hebräischen Universität und das intensive und vielfältige Begleitprogramm dazu beigetragen haben, sondern auch die Tatsache, dass ich in einer jüdisch-israelischen WG mit zwei weiteren Menschen gewohnt habe. In dieser WG wurde Schabbat und Kashrut gehalten (am Ende des Jahres kann man mit jüdischen Begrifflichkeiten nur so um sich werfen ?), was ich im öffentlichen Raum als Bedingung für den Einzug mitmachen musste. Ich ließ mich darauf ein und profitierte sehr davon, denn so bekam ich zum ersten Mal eine Ahnung davon, was das Schabbatgefühl ausmachen kann. Die wohl prägendsten und schönsten Erinnerungen verbinde ich mit den zahlreich organisierten Aruchot Leil Schabbat (die erste Schabbat-Mahlzeit freitagabends) mit meinem Mitbewohner, zu denen er seine und ich meine Freunde einlud, bald auch gemeinsame Freunde und wir fröhlich beisammensaßen, aßen, tranken und interessante Gespräche führten.
Bald darauf, dies ist meine Lieblingsanekdote, sollte ich selbst zur Kashrut-Meisterin ernannt werden. Denn inzwischen hatte ich gelernt, dass man, da wir nur einen Ofen hatten, entweder 24h warten musste, bis man in demselben Ofen etwas Fleischiges nach Milchigem oder umgekehrt backte, oder man den Ofen für eine Stunde anschalten konnte. Ich fragte also in unserer Whatsappgruppe nach, ob jemand für die letzten 24h den Ofen für Fleischiges benutzt hätte, da ich milchige Kekse backen wollte. Mein Mitbewohner antwortete darauf: „Wieso? Ich versteh das Problem nicht.“ Darauf meine Mitbewohnerin halb scherzhaft, halb genervt: „Weil man 24h warten muss. Zerstör mir nicht meine Kindheit und Erziehung.“ Das war letztendlich sehr amüsant, dass die Christin aus dem Ausland inzwischen besser die Kashrut-Regeln im Blick hatte als ihr jüdischer Mitbewohner. Daran sieht man aber auch: Wie und wie streng jüdische Menschen sich an die Halacha halten und wer welche rabbinische Meinung für sich annimmt, kann sehr unterschiedlich sein. Das zeichnet Halacha für mich aus: Es geht um Argumente und schlüssige Herleitung. Man streitet sich im Talmud gerne miteinander und der, der das beste Argument hat, ‚gewinnt‘. Wobei die Minderheitenmeinungen auch immer mitdokumentiert und bedacht werden.
Natürlich stößt man in diesem Land unweigerlich auf problematische und tragische Seiten, die man selbst erlebt und je nach dem welche Erfahrungen man macht und mit wem man spricht, können sich die Perspektiven auf den Nahostkonflikt ständig ändern. Man versteht die Komplexität des Konflikts und warum die Lösung nicht einfach ist. Am Ende, so konnte ich bei manchen aus unserer Studiengruppe beobachten, hat sich die anfängliche Haltung im Laufe des Jahres noch sehr verändert, bis dann innerhalb der Studiengruppe selbst hin und wieder emotional diskutiert wurde, und einem dabei klar wird: Wenn wir schon emotional diskutieren, um wie viel emotionaler ist das Thema dann für die direkt Betroffenen.
Ich persönlich bin kein brennender Archäologie-Fan, doch kann ich versichern, dass Archäologie-Interessierte durch die Exkursionen voll auf ihre Kosten kommen. Das Gute am Programm ist, dass man sich seinen Schwerpunkt selbst setzen kann, auch wenn natürlich ein paar Dinge verpflichtend sind. Ich kann trotzdem wählen, was mir in diesem Jahr am Herzen liegt und ich somit in den Fokus setze: Ist es das Kennenlernen von Land und Leute, weswegen ich in den nächsten Bus zum InDNegev-Festival springe? Ist es das Studium an der Uni, weswegen ich noch den ein oder anderen Kurs zusätzlich wähle? Ist es die religiöse Vielfalt, weswegen ich von Synagoge zu Kirche hoppe? Ist es das Naturerlebnis, was ich suche, weswegen ich Ausflüge nach Mizpeh Ramon oder in den Timna Nationalpark unternehme?
Letzteres war unter anderem meine Wahl. Die Negev-Wüste und der Nationalpark waren sehr eindrückliche Erlebnisse und das Farbenspektakel, was sich einem bot – von Lilatönen, zu hellgrün, über sandfarben, zu schwarz – sehe ich noch heute vor meinen Augen. Die Hitze und Weite der Wüste brennen sich ins Gedächtnis ein. Und machen einen demütig.
Eine Freundin und ich haben es gewagt, eine dreitätige Wüstentour auf uns zu nehmen. Da es keine, wirklich keine einzige, Wasserquelle auf unserer Strecke gab, haben wir vor allem Essen und Trinken für drei Tage auf unserem Rücken getragen. Wir starteten von Mizpeh Ramon und wanderten schnurgerade in die Wüste hinein. Dank der regelmäßigen Wegmarkierung und der Beschreibung eines Vorwanderers fanden wir den Weg recht gut. Das Bewusstsein konzentrierte sich allein auf den Weg, auf die Sonne, und darauf, dass die Füße sicher einen Schritt vor den anderen machten. Sie und ich waren schon recht weit, vielleicht 15km weit in die Wüste reingewandert, als wir halb scherzhaft halb ernst darüber beratschlagten, wie wir damit umgehen würden, wenn eine von uns umknicken würde. Diese Wüstenwanderung war tatsächlich auch eins meiner Highlights, weil sie mir nicht nur das atemberaubende Spektakel der Wüste zeigte, sondern auch gar nicht anders konnte als spirituell einzuwirken.
Viele aus meiner Studiengruppe haben über das Jahr enge Freundschaften und Bekanntschaften im Heiligen Land geschlossen. Und so manche führt es schon im Folgejahr wieder zurück, denn ist man einmal dort gewesen, kann man nicht verhindern, dass das Land und das Jahr einen prägt.
(von Efthimia Papadopoulos aus dem Jahrgang 44, 2021/22)